Kleedorf (ap) - Mario Maul wohnt in Happurg, dort, wo viele syrische Flüchtlinge Unterschlupf gefunden haben. Der Präsident des Hersbrucker Lions Clubs lauschte daher besonders aufmerksam, als Reinhold Waldecker die historischen und sozialen Hintergründe für den aktuellen Flüchtlingsstrom erklärte. Der langjährige Verteidigungsattache an den deutschen Botschaften in Algier, Tunis und Kairo schlug die Lions und deren Gäste bei seinem Vortrag "Die arabische Welt im Umbruch" in seinen Bann.
Doch wie kann man von einer arabischen Welt sprechen? "Allein die Arabische Liga besteht aus 22 Staaten", warf Reinhold Waldecker in den Raum. Ratlose Blicke begegnen ihm. Stille. Rasch und in prägnanten Sätzen fasst der agile Mann, der des Arabischen mächtig ist, die Gemeinsamkeiten der Länder zusammen: Abhängigkeit von Europa, blutige Freiheitskämpfe,
Staatsgrenzen durch die Kolonialherren, keine Demokratien - denn "Demokratie muss man lernen!", sagt der ehemalige Berufssoldat mit Nachdruck.
Was die Länder außerdem verbindet, ist der Islam, ein "politisches und religiöses System". Waldecker führt aus, dass der Koran Regeln für das tägliche Leben sowie Strafangaben für Verbrechen enthält - im Gegensatz zu den Zehn Geboten, die allgemeine Verbote wie "Du sollst nicht töten" aussprechen, die Bestrafung aber der Gesellschaft überlassen. Hier prallen
also Scharia (das religiöse Gesetz des Islam) und Grundgesetz massiv aufeinander: Eine Frau gilt dort nur die Hälfte eines Mannes, hier herrscht Gleichheit.
Doch nicht nur historische Probleme einen die Staaten von Nordafrika bis an den Persischen Golf und die Levante-Küste, sondern auch aktuelle. Religiöse Minderheiten bergen ein hohes Konfliktpotenzial. Militär und Scharia dominieren, der Bildungsstand ist niedrig ("Wer dumm ist, ist manipulierbar"), der islamische Fundamentalismus nimmt stark zu. "Das ist das soziale Netzwerk der einfachen Leute", meint Waldecker, dessen Haushälterin in Ägypten bei Krankheit lieber in die
Moschee statt zum Arzt ging.
Fast zu jedem Fakt weiß der engagierte Mann eine Anekdote aus seiner Zeit in Arabien. Das macht den Vortrag erlebbar, abwechslungsreich und realitatsnah - auch wenn der Regensburger oft etwas abschweift, was seiner Leidenschaft zum Thema geschuldet ist. Auch beim Stichwort "Korruptheit" fällt ihm etwas ein: "Gegen Bakschisch passt auch ein Polizist auf dein Auto auf, wenn es in dritter Reihe parkt."
Schwerwiegend ist die ethnische Vielfalt, die ein Nationengefühl in den einzelnen Staaten verhindert. Ein Beispiel, das das eindrucksvoll vor Augen führt, ist Syrien, "eine Missgeburt von Anfang an", so Waldecker: Syrien und der Libanon sind durch die Aufteilung des Osmanischen Reiches durch den Westen nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Grenzen wie auf dem Reisbrett. Ethnien und Religionen, die Voraussetzungen für die Bildung von Nationen, waren den Westmächten egal. Die Folge waren und sind beständige Unruhen.
Eine letzte Gemeinsamkeit macht Waldecker beim starken Bevölkerungswachstum aus - und die Jobs wachsen eben nicht mit. "50 bis 75 Prozent der jungen Leute unter 25 Jahren sind ohne Perspektive", wie die "Mauersteher", auf die Waldecker in Algerien gestoßen ist. Die jungen Männer ohne Stelle müssen tagsüber aus dem Haus, die Frauen bleiben dort.
Daher war Arbeitslosigkeit bei zugleich steigenden Lebenshaltungskosten auch eine Ursache für die Revolution 2011. Ärger über politische Repression, Bestechung und soziale Ungerechtigkeit sowie der Wertekonflikt zwischen den Eliten und der breiten Masse stauten sich über die Jahre auf.
Erste Eruptionen des Volkszorns waren vereinzelte Unruhen, doch erst die neuen Medien wie Facebook, Twitter und Co. sorgten ab 2011 für den Flächenbrand. Doch was wollten die in erster Linie jungen Leute erreichen? "Würde, Menschenrechte, Gerechtigkeit", weiß Waldecker. Es ging um soziale Probleme und nicht um den Wunsch nach Demokratie, denn "diese kennen sie ja gar nicht" schneidet der Verteidigungsattache die Fehler des Westens an. Zu diesen zählt Waldecker unter anderem auch die Waffengeschäfte oder das (militärische) Eingreifen an falscher Stelle.
Beispiel Libyen: Ein internationaler Militäreinsatz vertrieb Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011. Jetzt, wo der "zerfallende
Staat" mit zwei Parlamenten, zig Milizen und dem Einzug des Islamischen Staats Ordnung nötig hätte, sagt die UNO, sie brauche ein Mandat aller Mitglieder und eine Regierung, die bei ihr um Hilfe bittet...
Im gleichen Atemzug macht Waldecker aber klar, dass eine militärische Befriedung der gesamten arabischen Welt nicht möglich ist. Es gibt zu viele Beteiligte. Und: "Egal, wer gewinnt, der Verlierer wird sich nicht geschlagen geben, sondern dem IS zuwenden." In seinem Ausblick warnt er vor vagabundierenden Waffen in Händen ehemaliger Söldner, Kurden-Problem, politischem Islam und der Tatsache, dass sich der Westen mit wechselnden Machthabern immer neu arrangieren muss.
Für Reinhold Waldecker sind aber nicht die Flüchtlinge das Problem, sondern die "latente Angst in der Bevölkerung" vor Terror-Gefahr und nicht einschätzbaren Ereignissen in der arabischen Welt.
"Diese Angst müssen wir verlieren, aber gleichzeitig klar machen, dass hier bei uns das Grundgesetz gilt", sagt der Soldat und langjährige Verteidigungsattache. Hier gibt es ein Recht auf Unterschied, aber kein unterschiedliches Recht.
Hersbrucker Zeitung vom 17. Februar 2016 - Fotos: A. Pitsch
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